Kastration – Pro & Contra

Meistens werden bei einer Kastration des Hundes nur die medizinischen „Nebenwirkungen“ betrachtet. Ich werde hier das Thema „Kastration“ aus einer ganz anderen Sichtweise heraus behandeln und damit hoffentlich einige Denkanstösse geben.

Kastration der Hündin

Sehr viele Tierärzte in Deutschland sprechen sich für eine frühzeitige Kastration aus. Begründungen sind:

  1. es kann keinen Gebärmutterkrebs geben
  2. das Risiko für Gesäugekrebs sinkt stark
  3. die Hündin kann keinen unerwünschten Nachwuchs produzieren
  4. die „Läufigkeit“ mit ihren unangenehmen Begleiterscheinungen (für edle Teppichböden, fremde Rüden vor der Tür u.ä.) entfällt.
  5. Häufig wird aber auch eine ausgewachsene Hündin beim Tierarzt vorgestellt, die durch Aggression gegen Menschen oder Hunde auffällig geworden ist. Auch dann empfehlen immer noch etliche Tierärzte die Kastration als „Versuch“, dieser Aggression Herr zu werden.
    Stellungnahme zu den einzelnen Argumenten:
    Zu 1. Gebärmutterkrebs: kann es keinen mehr geben – was nicht mehr da ist, kann nicht mehr entarten. Dieses Argument stimmt.
    Zu 2. Gesäugekrebs: Studien haben belegt, dass nur eine Kastration vor der ersten Läufigkeit eine deutliche Senkung des Risikos bedingt. Eine Kastration nach der ersten Läufigkeit (oder noch später) verringert das Krebsrisiko minimal bis gar nicht.
    Zu 3. „unerwünschter Nachwuchs“: klar – Kommentar erübrigt sich
    Zu 4. „unangenehme Begleiterscheinungen“: auch hier stimmt das Argument
    Zu 5. Hier zeigt die Erfahrung, dass dieses Argument nur selten richtig ist – Erklärung unter „Gültig für Hündinnen und Rüden – Aggression sinkt“

Kastration des Rüden

Im Gegensatz zur Hündin, bei der immer wieder zu einer Kastration als Vorbeugung gegen Entzündungen oder Krebs empfohlen wird, geht es bei den Rüden (mit Ausnahme medizinischer Indikation) meistens nur um eins: Sie sollen verträglicher mit Artgenossen werden und auch Probleme in der Mensch-Hund-Beziehung sollen sich durch Kastration verändern oder im Vorfeld vermieden werden.

Gültig für Hündinnen und Rüden:

Zum Thema: „Aggression sinkt“: Da hilft Kastration in 99% der Fälle gar nichts. Ausnahmen sind einzelne „Aggressionschübe“ während der Läufigkeit oder Scheinträchtigkeit der Hündin. Wenn ausschliesslich in dieser Zeit Aggression beobachtet wird, dann wird eine Kastration höchstwahrscheinlich Abhilfe bringen. Zeigt ein Rüde oder eine Hündin aber während des ganzen Jahres Aggressionen gegen Menschen und/oder Hunde, dann wird auch eine Kastration keine Änderung hervorrufen. Denn dann handelt es sich entweder um eine Dominanz- und Rangordnungsgeschichte und/oder Lernerfahrungen. Weder Dominanzprobleme noch Lernerfahrungen können durch eine Kastration überlagert werden.

Wenn Hündinnen wegen Dominanzproblemen kastriert werden sollen, dann muss man sich vor Augen halten, dass man diesen Hündinnen ihre „sanft machenden“, weiblichen Hormone wegnimmt und sich daher das Hormonverhältnis in Richtung Männlichkeit verschiebt. Dies ist der Grund dafür, dass ausgewachsene Hündinnen nach einer Kastration häufig sogar dominanter werden als sie vorher waren… „den Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben….“

Es gibt Fälle, in denen sich Rüde oder Hündin tatsächlich nach einer Kastration friedlicher zeigt als vorher. Manchmal beruht dies tatsächlich auf einer Veränderung des Hormonspiegels, meine Beobachtungen und auch die von zahlreichen meiner Kollegen zeigen allerdings, dass diese Fälle relativ selten sind – Lernerfahrungen sind meistens stärker. Bei einer drastischen Veränderung des Aggressionsverhaltens nach einer Kastration spielt häufig ein ganz anderer Aspekt eine Rolle und zwar die „Spannungsübertragung durch die Besitzer“. (Deutlich zu sehen im Hund-Mensch-Verhältnis) Wurden die Besitzer früher beim Anblick fremder Hunde unsicher oder ängstlich und zeigten damit ihrem Hund erst, dass da tatsächlich eine Bedrohung kommt, so wissen sie jetzt: „mein Hund ist kastriert und wird nicht mehr kämpfen“. Alleine dieses „sicher fühlen“ der Besitzer führt dann dazu, dass der Hund den fremden Artgenossen nicht mehr als Bedrohung ansieht und selbst friedlich bleibt.

Kriterien, die bei der ganzen Diskussion über „Kastration oder nicht“ entweder total vergessen werden oder gar nicht bekannt sind:

Sehr frühe Kastration führt zu einer drastischen Abnahme der Aktivität der Grosshirnrinde infolge fehlender Hormone, u.a. entwickelt sich die Lernfähigkeit nicht so stark wie bei einem unkastrierten Tier. Vor der Pubertät kastrierte Tiere bleiben ewig juvenil, d.h. ewige Kinder. Das mag zwar aus menschlicher Sicht ganz lustig sein, aber einen souveränen Hund bekommt man dadurch nie. Viele Menschen finden das nicht schlimm, aber andere Hunde können häufig mit einem ausgewachsenen aber juvenilen Hund nicht umgehen. Zahlreiche Verhaltensweisen, die einem erwachsenen Hund angehören, fehlen hier. Dieser Hund wird von einem unkastrierten Tier in der Regel nicht ernst genommen; im Gegenteil, dieser Hund erscheint völlig andersartig und diese Andersartigkeit kann zu Unsicherheit und daraus resultierender Aggression (im menschlichen Sinn als Mobbing zu sehen) führen. Das bedeutet, dass man durch frühzeitige Kastration häufig Probleme hervorruft obwohl man eigentlich Probleme vermeiden wollte. Anders sieht es z.B. in Amerika aus – hier werden fast alle Tiere schon im Welpenalter kastriert und lernen sich auch so kennen. Dann gilt: „gleich zu gleich gesellt sich gern“ und es gibt kaum Probleme mit Artgenossen. In Deutschland sind kastrierte Tiere jedoch bei weitem in der Minderzahl.

Ein, nach der geschlechtsreife kastrierter Hund „weiss, dass er Rüde oder Hündin ist“. Hündinnen fordern besonders Rüden und subdominanten Hündinnen gegenüber ihren Respekt ein, Rüden verlangen ihn von jüngeren und subdominanten Tieren und bekommen ihn von einem gut sozialisierten Tier auch bereitwillig zugesprochen. Nun stellen Sie sich aber mal vor, dass dieser Hund plötzlich kastriert wird. Die Lernerfahrungen sind da: „Jüngere und subdominante Tiere, die mich als erwachsenen Hund „riechen“ bringen mir Respekt und Ehrerbietung entgegen.“ Aber nach der Kastration fehlt der typische Geruch eines ausgewachsenen Tieres. Was passiert dann? Weder Rüden noch fremde Hündinnen können genau einschätzen, mit wem sie es zu tun haben. Der nötige Respekt fehlt. Der kastrierte Hund „weiss“ aber (trotz Kastration) was er ist (Lernerfahrung) und fordert seinen Respekt ein. Probleme sind vorprogrammiert und das passiert meistens um so häufiger, je älter der Hund zum Zeitpunkt der Kastration war, also je mehr Lernerfahrung er hatte.

Genau wie bei kastrierten Hündinnen verändert sich auch der Geruch des Rüden nach einer Kastration. Dabei gibt es, zwar selten aber dennoch immer wieder vorkommend, einen eigenartigen Effekt: Manche Rüden und auch einige Hündinnen riechen nach einer Kastration permanent so wie eine hochläufige Hündin. Als Begründung sind mir zwar zahlreiche abenteuerlichen Theorien bekannt jedoch konnte ich bisher weder von einem Tierarzt noch in Büchern eine befriedigende, wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen bekommen. Tatsache ist aber, dass sowohl Kollegen und Kolleginnen als auch ich selbst schon mehrere dieser Hunde kennengelernt haben. (Zwischenbemerkung: Die grosse Liebe meines sehr dominanten Rüden Sam war ein kastrierter Rüde in der Nähe. Für diesen Rüden liess er jede läufige Hündin stehen und wenn ich nicht aufpasste, dann büxte er aus und hielt dort vor der Tür Wache, genau wie es ein Rüde bei einer heissen Hündin macht. Und war sein Freund einmal aussen, dann wurde er von Sam regelrecht vergewaltigt.) Bei einem so gut riechenden Tier versucht dann fast jeder intakte Rüde aufzureiten was aber von dem kastrierten Tier gar nicht oder zumindest nicht endlos geduldet wird. Diese ständige Aufdringlichkeit fremder Rüden ist sehr stressig für den Hund und führt deshalb des öfteren zu Aggressionen. Und auch fremde Hündinnen sind ab und zu aggressiv gegen läufige Hündinnen(und als solche „riechen“ sie dieses kastrierte Tier), denn diese sind ja Konkurrentinnen.

Abschliessende Bemerkung

Kastration ohne medizinische Notwendigkeit ist nach dem Tierschutzgesetz §6 verboten. Da aber jedes Gesetz seine Hintertürchen hat, will ich darauf gar nicht weiter eingehen sondern die Hundehalter/innen zum Denken anregen:

In vielen Fällen geht eine Kastration ohne die oben geschilderten „Nebenwirkungen“ vor sich. Aber wisst Ihr, zu welcher Kategorie Euer Hund gehören wird? Wägt deshalb ganz genau ab, ob eine Kastration Euch oder Euerem Hund wirklich helfen kann und ob ihr mit möglichen Nebenwirkungen klar kommt. Denn Euer Hund und Ihr als Besitzer/in müsst dann jahrelang mit den „Nebenwirkungen“ leben. Also macht Euch die Entscheidung nicht zu leicht.

Für Rüden gibt es die Möglichkeit, den Hund zuerst einmal „chemisch“ kastrieren zu lassen, für Hündinnen derzeit nicht. Rüdenbesitzer/innen merken dann sehr schnell, ob Aggressionen des Hundes weniger werden. Die Möglichkeit einer endgültigen, operativen Kastration bleibt dann immer noch. Lasst Euch dazu von Euerem Tierarzt beraten.

Zum Nachdenken

Kastrierte Hündinnen haben ein:

  • 8 mal höheres Risiko für Inkontinenz
  • 2 mal höheres Risiko für Fettleibigkeit
  • 8 mal höheres Risiko für Herztumore
  • höheres Risiko an Harnleitertumoren zu erkranken
  • höheres Risiko an Schilddrüsen-Krebs zu erkranken
  • höheres Risiko an akuter Pankreatitis zu erkranken
  • höheres Risiko an chronischer Hornhautentzündung zu erkranken
  • höheres Risiko an Muskelschwund und Bindegewebsschwäche zu erkranken
  • höheres Risiko an Blutgefäß-Tumoren zu erkranken
  • höheres Risiko an einer Unterfunktion der Schilddrüse zu erkranken
  • hinzu kommt das OP-Risiko.

Intakte Hündinnen sind:

  • 6 mal häufiger von „perianal fistula“ betroffen

und haben ein:

  • höheres Risiko an vaginalen Tumoren zu erkranken
  • höheres Risiko an Brustkrebs zu erkranken
  • höheres Risiko an Gebärmuttervereiterung zu erkranken

Kastrierte Rüden haben ein:

  • 2 mal höheres Risiko für Fettleibigkeit
  • leicht höheres Risiko an Prostatakrebs zu erkranken
  • höheres Risiko an Harnleitertumoren zu erkranken
  • höheres Risiko an Diabetes zu erkranken
  • höheres Risiko an einer Unterfunktion der Schilddrüse zu erkranken
  • höheres Risiko an Knochenkrebs zu erkranken
  • hinzu kommt das OP-Risiko

Intakte Rüden haben ein:

  • höheres Risiko an Leukämie zu erkranken
  • höheres Risiko an Hodenkrebs zu erkranken
  • höheres Risiko an „perianal fistula“ zu erkranken
  • wenn sie von Lymphknotenschwellungen oder -tumoren betroffen sind haben sie kürzere beschwerdefreie Zeiträume